Dmitrí A. Prigov - Stipendiat der Stiftung Laurenz Haus, Basel

Ausstellung vom: 2.2.2003 bis 2.3.2003

Vernissage: 1.2.2003, 17 Uhr

 

Zur Ausstellung von Dmitri A. Prìgov

 

 

 

 

 

 

 

Dmitri Alexandrovich Prìgov – Stipendiat der Stiftung Laurenz-Haus, Basel

 

Der 1940 in Moskau geborene Dmitri A. Prìgov ist neben Ilya Kabakov und Erik Bulatov einer der Begründer und einer der bedeutendsten Künstler des Moskauer Konzeptualismus. Er verbrachte als Stipendiat der Stiftung Laurenz-Haus ein Jahr in Basel. Der Ausstellungsraum Klingental widmet ihm eine Ausstellung mit Arbeiten, die teilweise hier entstanden sind oder die aus früheren Schaffensperioden entstammen; die Präsentation seiner Arbeiten hat installativen Charakter.

Dmitri A. Prìgov hat 1964 an der Moskauer Hochschule für Künste ein Diplom erhalten und wurde 1975 Mitglied der russischen Künstler-Union. Da sein Kunstverständnis ausserhalb des sozialistischen Realismus anzusiedeln ist, hatte er in Sowjet-Russland keine Gelegenheit, sein Schaffen im offiziellen Ausstellungsbetrieb zu zeigen. In den 70er Jahren präsentierte er wie andere auch Ausstellungen in der eigenen Wohnungen oder in der von Freunden. Erst mit der Perestroyka in den 80er Jahren konnte er sein Schaffen in Russland öffentlich zeigen. Ab 1988 begann er zu Reisen und hatte Ausstellung in den USA, in Europa, in Süd-Korea und in Japan.

1990 wurde er Mitglied des russischen Schriftstellerverbandes und 1992 Mitglied des Pen-Clubs.

Dmitri A. Prìgov hat rund 20 Bücher in Russisch veröffentlicht. In Deutsch ist 1990 "Poet ohne Persönlichkeit" erschienen, 1992 "Milizionär und die anderen" und im kommenden April wird "Lebt in Moskau" erscheinen. Er hat Stücke geschrieben, ist als Performer mit Musikern aufgetreten und arbeitet unermüdlich an seinem unendlichen Werk.

Er sagt: "Mein Ehrgeiz besteht seit langem nicht mehr darin, den Schriftsteller, den Dichter als Kenner und Vermittler der verborgenen Geheimnisse zu betrachten. Ich verstehe mich nicht als Prophet, ich bin einfach ein Arbeiter der Kultur." Und "Ich habe mich der Ausführung des verrückten Projektes, eine wahnsinnig grosse Zahl von Gedichten zu schreiben, verpflichtet, das ist alles. Ich bin wie ein Mönch, der nur Zeugnis von der Existenz dieses künstlerischen Verhaltenstypus ablegt." Dmitri A. Prìgov hat bis heute rund 33'000 Gedichte geschrieben.

 

Wir zeigen in der Ausstellung eine Auswahl aus dem Schaffen des bildenden Künstlers, dessen Werk eine Aesthetik zeigt, die hier wenig verbreitet ist. Dmitri A. Prìgov ist ein Mystiker, der zwar bildnerisch arbeitet, doch der dem Wort näher steht als dem Bild.

Was wir hier zeigen, sind Zeichnungen und zwei Installationen. Vor dem Hintergrund unseres westlich geprägten Kunstverständnisses scheinen sie uns fremd und fern.

Einen besseren Zugang zu seinem Werk vermittelt das Wissen um mystische Einsichten: die Farbe Schwarz verkörpert das Unbekannte, etwas Mystische, einen undefinierbaren Hintergrund, ein fremdes Aussen. Die Farbe Weiss verkörpert das Licht. Und die Farbe Rot verkörpert das Leben – So ein mystisches Farbverständnis, dem sich auch Dmitri A. Prìgov bedient. Dies erklärt die eine Seite seiner Reduktion auf eine Farbe und zwei Tonwerte. Die andere ist scheinbar kunstimmanent: die russischen Suprematisten wie Malewitsch und andere bedienten sich häufig auch nur der drei Farben Schwarz, Weiss und Rot. Ihre Beschränkung auf diese drei Farben erscheint im Licht von Dmitri A. Prìgov mystische Ursachen zu haben.

Dmitri A. Prìgov unterscheidet vier verschiedene Zugänge zum Betrachten seines Werks: da ist eine unterste Ebene, welche die Dinge so nimmt wie sie erscheinen, also ein Untier, ein Wort, ein Gefäss oder die Fremdartigkeit der russischen Schrift, die uns Rätsel aufgibt.

Auf einer zweiten Ebene werden die künstlerischen Qualitäten betrachtet und begutachtet, wie genau er beispielsweise die zeichnerische Illusion der räumlichen Entfaltung eines Körpers auf das flache Papier brachte. Dass er sich bei seinen Zeichnungen nicht mit künstlerischen Mitteln wie der Feder oder dem Bleistift bedient sondern dem profanen Kugelschreiber, der kaum Unterschiede in der Strichführung zulässt, und dass er es hier zu unerhörter Meisterschaft bringt, gehört zu dieser Betrachtungs-Ebene. Auch dass er seine grösseren Bildformate aus kleineren A3 oder A4-Blättern zusammensetzt und er sich bei der Arbeit am kleinen Teil immer die ganze Komposition vor Augen halten muss, ist auf dieser Ebene anzusiedeln.

Eine dritte Ebene betrachtet die Werke als kulturelles Phänomen, sucht Bezüge zur Kunstgeschichte, zur Philosophie-Geschichte oder zur Menscheitsgeschichte. Hier ist das Wissen um die Existenz des Mystikers Meister Eckehard anzusiedeln oder das Erkennen der schematisch anmutende Darstellung der Philosophie, in der Sophokles als Träger des Philosophie-Gebäudes erscheint, und Derida zwischen Platon und Kant anzusiedeln ist. Hier auch ist das Wissen um die Schrift anzusiedeln, die in früheren Zeiten auf das Notieren der Vokale verzichtete und nur die Konsonanten schrieb, ähnlich wie in der islamischen Schrift.

Die vierte Ebene ist eine metaphysische, in der sich beispielsweise erhellt, dass Vokale das Leben bedeuten, individuell sind und dass Dmitri A. Prìgov sich der roten Farbe bedient, um die scheinbar fehlenden Vokale – eben das Leben schlechthin – in einen Begriff hineinzusetzen. Schamanisches scheint hineinzuspielen, eine fremde Welt des Unbekannten tut sich auf.

 

 

Doch nun zu einzelnen Arbeiten:

Die Installation "Alpen-Landschaft" im Nebenraum reflektiert das Wissen um die Entdeckung der Alpenwelt als aesthetisches Ereignis im 18. Jahrhundert.

 

Die Natur wurde als solche wahrgenommen. Wir blicken hier über eine Hügellandschaft und entdecken an der Wand ein grosses Auge, das uns selbst betrachtet: Wir Betrachter werden betrachtet. Aus Zeitungen ist die Landschaft aufgebaut, Zeitungen, die vor dem Erscheinen heiss begehrt sind, und nach der Lektüre einfach weggeworfen werden. Zeitungen aber sind auch Ort des Erkennens der Welt, der Vermittlung des Wissens um diese Welt. Die Hügellandschaft wird so unvermittelt zu einer Landschaft des Wissens, das jedoch auch bald den Weg alles Vergänglichen gehen und im Abfall landen wird.

 

In den dreiteiligen "Neuen Anthropologien" verwandeln sich zufällig ausgewählte Menschen in Wesen, die auf einer höhere geistigen Ebene erkennen. Ihr Erkenntnisinstrument, das dritte Auge, ist über Energieströme mit dem schwarzen Hintergrund verbunden – ein mystisches Ereignis.

 

Worte sind Bausteine im Werk von Dmitri A. Prìgov. Es sind Begriffe, die nicht wie ein Ding, beispielsweise ein Glas, begriffen werden können, die aber unsere Vorstellungswelt ebenso stark prägen wie wir einen Pokal als Gefäss begreifen. Doch diese Vorstellungswelten unterscheiden sich je nach kulturellem oder individuellem Hintergrund. Die Begriffe wiederum sind Gefässe, die wir mit unseren Vorstellungen füllen, die in den Prìgovschen Zeichnungen aus einem schwarzen Hintergrund in Lichtform aufscheinen – Nicht allein wir prägen die Begriffe, sie fussen auf einem mystischen Urgrund und prägen uns. Sie sind von aussen kommende Bausteine, so wie das Holz ein Baustein ist, der beim Häuserbau oder beim Brückenbau auch heute noch in vielen Gegenden der Welt unentbehrlich ist.

 

An der Wand beim Eingang sind 105 Konzepte für Installationen fixiert, die teilweise bereits realisiert wurden oder die bei einer nächsten Ausstellung realisiert werden. Darunter ist auch ein Block von 12 Zeichnungen zu sehen, mit einer dominanten schwarzen Kreisscheibe. Eine der Zeichnungen zeigt einen Teddy-Bär, der mit Glasplatten an diesem Kreis fixiert ist, ein Konzept, das Dmitri A. Prìgov im zweiten Nebenraum umgesetzt hat: In der Mitte einer die ganze Wand umfassenden Kreisscheibe – man kann sich in diesem Schwarz in eine Unendlichkeit verlieren – scheint ein fernes Licht auf. Der Teddybär schwebt darin als Verkörperung des Kindlichen, des Unverbrauchten, vielleicht auch der Natur, die im Banne von Licht und Dunkelheit schwebt.

 

Das Portrait des Meister Eckehard zeigt ein mystisches Wesen, das in der einen Hand eine schwarze Kugel als das Ding schlechthin hält, mit der anderen umfasst er eine weisse Kreisform, die wiederum Licht verkörpert. Der Körper des Wesens ist gefiedert – er ist vogelähnlich. Im Glasgefäss im Vordergrund ist das rote Leben. Verstrickt ist das Wesen in eine ornamental wuchernde Pflanzenwelt. Ein geistiges Auge schaut hinter dem Wesen hervor. Ein weisses und ein schwarzes Quadrat symbolisieren eine lichtvolle und eine schwarze Welt. Kreuze markieren Bewusstseinsstufen – ein rätselhaftes Werk.

 

Auch die Tier-Mischwesen der "Doppel-Bestie" sind rätselhaft. Ist es ein oder sind es drei Körper, die da zu sehen sind? Streben sie auseinander? Was hält sie zusammen? Begriffe in Japanisch, Russisch und Englisch schweben um das mystische Wesen herum "Here" ist zu lesen, "empty" oder "Vision". Sehen wir vor uns die schamanische Vision eines der Urwesen, aus dem alles Leben stammt? Ich vermag es nicht zu beantworten.

 

Dank an Stiftung Laurenz-Haus, Dmitri A. Prìgov, und allen die zum Gelingen dieser Ausstellung beigetragen haben.

 

Wir danken der STIFTUNG LAURENZ-HAUS, Basel, für Ihren Beitrag, der es ermöglicht, diese Ausstellung in dieser Form durchzuführen.

 

Basel, 1.2.2003                                                             Robert Schiess

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